Autor Oliver Stock
Sonntag, 17.03.2024, 18:27
Demonstranten der Klimagruppe "Extinction Rebellion" vor dem Brandenburger Tor in Berlin
Im Bemühen, möglichst nachhaltig aufzutreten, verlieren manche Institutionen ihr Ziel aus den Augen - und dann wird es gefährlich.
Zwei aktuelle, ganz unterschiedliche Beispiele belegen diese Entwicklung. Es geht um Ernährung und ums Geld, und in beiden Fällen läuft etwas gründlich schief, weil Nachhaltigkeit plötzlich zum entscheidenden Kriterium erhoben wird.
Erstes Beispiel: Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung hat gerade ihre Hinweise vorgestellt, was Menschen am besten essen sollten, um gesund zu bleiben. Die Ratschläge können weitreichende Folgen für die Bevölkerung haben, da sie in der Regel für die Verpflegung in Kitas, Schulen, Kantinen und Seniorenheimen bis hin zu den Programmen der Krankenkassen als Richtschnur genommen werden.
Ärzte zeigen sich allerdings entsetzt angesichts der Empfehlungen der Ernährungswissenschaftler. "Klimaschutz wird da über Gesundheit gestellt", rügt etwa die Deutsche Akademie für Präventivmedizin (DPAM).
Der Ärzteverein sieht gravierende Fehler. Es könne keine einheitlichen Empfehlungen für die Ernährung aller Menschen in Deutschland geben, da sich deren gesundheitliche Ausgangslage unterscheidet. Die neuen Empfehlungen könnten größeren Teilen der Bevölkerung in Deutschland nicht nur nichts nutzen, sondern sogar schaden.
So sei die Charakterisierung von Lebensmitteln in solche "pflanzlichen Ursprungs" und solche "tierischen Ursprungs" wissenschaftlicher Unsinn. Der allgemeine Verzicht auf tierische Lebensmittel könne bedenklich sein: Die ausreichende Versorgung etwa von Kindern und Senioren "mit hochwertigem Eiweiß, essenziellen Aminosäuren und Fettsäuren sowie mit etlichen Spurenelementen und Vitaminen" sei mit den Empfehlungen nicht gewährleistet.
Die Empfehlung "an alle" hingegen,
"Für über 30 Millionen Menschen sind diese Empfehlungen gesundheitsgefährdend, weil schon Vorerkrankungen vorliegen." Das Fazit der Ärzte lautet deswegen: Etliche inhaltliche Aussagen sind "überholt und nicht evidenz-basiert". Zusätzlich werde offenbar der Aspekt des Klimaschutzes über die gesundheitlichen Belange der Bevölkerung gestellt.
Das zweite Beispiel für eine Institution, die mit Blick auf nachhaltige Verhaltensweisen ihr Kernziel aus den Augen verloren hat, liefert gerade die Europäische Zentralbank (EZB).
Dort gibt es derzeit intern Streit um die Frage, ob die EZB ihre Politik darauf ausrichten soll, die Wirtschaft "grüner" zu machen, oder ob sie sich auf ihr Hauptziel, nämlich die Preise in der Eurozone stabil zu halten, beschränken soll.
Passiert ist bei der EZB folgendes:
Die Personalvertretung der EZB zeigt sich "schockiert" über diese Aussage. In einer Mail, die unter anderem auch bei der Financial Times landete, erklärte sie, die Idee, Menschen "umzuprogrammieren", stehe in "krassem Widerspruch zu Vielfalt und Inklusion, insbesondere zur Vielfalt der Gedanken."
Eldersons Haltung sei "autoritär", ließen sich Mitarbeiter anonym zitieren. Eine freie und offene Diskussion über den Klimawandel - und die Rolle, die die Bank bei seiner Bekämpfung spielen sollte - sei in der in Frankfurt ansässigen Organisation nicht mehr möglich.
Tatsächlich hat die EZB in ihren Statuten den Einsatz für nachhaltiges Wirtschaften zum Ziel erhoben: "Wir arbeiten daran, die Klimarisiken für geldpolitische Geschäfte und Anlagegeschäfte sowie für das Finanzsystem besser einschätzen, überwachen und steuern zu können. (...) Wir unterstützen einen geordneten Übergang zu einer CO2-neutralen Wirtschaft mit Maßnahmen, die in unseren Aufgabenbereich fallen", heißt es da.
Die EZB argumentiert, sie sei rechtlich verpflichtet, zum Kampf gegen den Klimawandel beizutragen, und beruft sich auf eine formale Nebenaufgabe, die sie zur Unterstützung der allgemeinen Wirtschaftspolitik der EU verpflichtet.
Profis von außerhalb sehen das kritisch. "Die Diskussion über die Ökologisierung des Zentralbankwesens ist so polarisiert, dass eine kritische Debatte schwierig geworden ist", sagt Daniel Gros, Direktor des Institute for European Policymaking an der Bocconi Universität in Mailand dem Nachrichtenportal Politico.
Und Volker Wieland, Ökonom beim offiziellen Frankfurter Gremium der EZB-Beobachter, glaubt darüber hinaus, dass sich Elderson und die EZB überschätzten: "Ihren Einfluss auf die Emissionen des Euroraums halte ich für sehr gering. Hier sind die Instrumente der CO2-Steuer und des Emissionshandels wesentlich effektiver als etwa die Politik bei den Anleihekäufen der EZB."
Allen Kritikern gemeinsam ist, dass ihnen die Entwicklung der vergangenen Jahre recht gibt: Die EZB hatte einer stark steigenden Inflation über Monate hinweg untätig zugesehen und musste dann in schneller Folge die Zinsen rapide anheben, um die Geldentwertung noch zu stoppen.
Hat sie sich, so fragen sich die Kritiker, von ihren Nachhaltigkeits-Ambitionen so sehr ablenken lassen, dass ihr die Geldwertstabilität gleichgültig geworden war?